DIE TRAGWEITE DER TRAUBE
Artikel vom 01.01.2025
PET NAT, LOW ALCOHOL, SPARKLING TEA: GEHT DER TREND WEG VOM KLASSISCHEN WEIN?
CL: Also wirklich gar nicht (lacht). Gerade hier in Österreich, aber auch in Süddeutschland und der Ostschweiz, sind eher die Anhänger des klassischen Genusses unterwegs - und somit auch die Fans traditioneller Produzenten und Weingüter. Wobei man natürlich sagen muss: Zu uns in die Burg oder zu Mathieu kommt man ja gezielt, um einen hervorragenden Wein zu genießen - weniger zum Experimentieren.
MM: Unbedingt. Pet Nat zum Beispiel ist eher in Skandinavien oder auch in den USA gefragt - vielleicht, weil sich das Publikum dort insgesamt mehr für Naturwein begeistert. Hierzulande sehe ich Pet Nat mehr bei den jungen Leuten, auch wegen seiner Süße, aber der Trend geht bei uns auch langsam in diese Richtung. Alkoholfreier Wein ist dann nochmal ein ganz anderes Thema. In meinem Businessalltag spielt er gar keine Rolle.
CL: Bei uns ist das ähnlich. Wir verfolgen das Thema mit Interesse und haben selbst Sparkling Tea im Haus - aber das ist aktuell nichts, was groß nachgefragt wird.
UM HIER AUFZUSPRINGEN: WAS WIRD DENN AKTUELL GROSS NACHGEFRAGT? WELCHE WEINREGIONEN LIEGEN IM TREND?
Mathieu und Christian (wie aus einem Munde): Burgund! (lachen).
CL: Ja, der Hype ist weiterhin riesig. In den letzten Jahren hat das Gebiet immer wieder unter Frühjahrsfrost und Hagel gelitten, die Winzer hatten weniger Ertrag.
MM: Manche Lagen machen nur drei Fässer, da kostet eine Flasche 2.000 bis 3.000 Euro.
CL: Es ist schon verrückt. Man muss sich vorstellen, dass die großen Burgunder früher einmal 40 DM gekostet haben. Allerdings kommt zu den geringeren Erträgen natürlich noch hinzu, dass auch der asiatische Markt das Thema Wein für sich entdeckt hat. In Europa sind die Weinkeller traditionell gut gefüllt – in China beispielsweise wird da gerade viel aufgebaut.
GEHT ES BEIM WEINKELLER-AUFBAU EHER UM DAS TRINKEN - ODER UM DAS BESITZEN? IST WEIN EHER GENUSSMITTEL ODER WERTANLAGE?
MM: Beides. Wein als Getränk ist auf dem Vormarsch. Es gibt eine enorme Nachfrage und immer mehr Produzenten. Gleichzeitig sind seltene Weine Anlageobjekte. Wie Uhren und Fahrzeuge.
CL: Ja, eine Originalkiste mit nummerierten Flaschen hat Sammlerwert. Auch in den Auktionshäusern werden Weinraritäten hoch gehandelt.
MM: Romanée-Conti ist beispielsweise so ein Fall. Das ist eines der Häuser, das jährlich nur 5.000 Flaschen für die ganze Welt produziert.
GIBT ES BEI ALL DEM GESTEIGERTEN INTERESSE HEUTE AUCH MEHR WEINKENNER? ODER EINFACH NUR MEHR WEINTRINKER?
MM: Durch das verstärkte Trinken steigt schon auch das Wissen. Nur, weil wir Sommeliers sind, sprechen wir unseren Gästen ja nicht ab, dass sie sich auskennen.
CL: Dazu kommt, dass es ja nicht allein um die Expertise geht. Die Menschen erlauben sich heute mehr Genuss als früher. Das Wissen ist eine Sache – aber viel wichtiger ist das Erlebnis.
MM: Ob jemand Wein eher als kurze Affäre oder wahre Liebe sieht, siehst du an seinen Augen (lacht). Aber im Ernst: Im direkten Gespräch merkt man, ob jemand wirklich für das Thema brennt. Am Ende spielt das aber auch keine Rolle: Beim Genuss gibt es kein richtig oder falsch. Es geht um das Entdecken. Um die Freude.
APROPOS ENTDECKEN: IN DER BURG WIRD UNTER ANDEREM AUCH BEIM JUNGWINZERTREFFEN VIEL PROBIERT UND DISKUTIERT. WAS GENAU HAT ES MIT DEM EVENT AUF SICH?
CL: Das Jungwinzertreffen machen wir bei uns schon lange, immer am Anfang der Sommersaison. Es ist dadurch entstanden, dass es für die junge Generation manchmal nicht ganz leicht ist, in die Fußstapfen der Eltern zu treten. Oft beginnt alles mit einer klassischen Ausbildung, zum Beispiel in Klosterneuburg oder Geisenheim. Anschließend gehen die Nachwuchs-Winzer in Betriebe rund um die Welt, machen Praktika quer durch Europa, in Amerika oder Australien. Dann kommen sie mit Mitte zwanzig nach Hause in einen Familienbetrieb, in dem die Dinge so gemacht werden sollen, wie sie traditionell schon immer gemacht wurden. Um sich hier auszutauschen, zu schauen, welche Techniken oder Sorten gut sind, was sinnvoll verändert werden könnte im eigenen Betrieb oder eben nicht - dafür ist das Event inzwischen eine etablierte Plattform. Wir haben ein tolles Miteinander.
IST WEIN GANZ GRUNDSÄTZLICH ETWAS, DAS DIE MENSCHEN ZUSAMMENBRINGT? IST ER MEHR ALS EIN BERUF? MEHR ALS EIN GETRÄNK?
MM: Unbedingt! Wein ist Emotion, Entdeckung, Lebensgefühl. Er steht für Geselligkeit. Wein hat meine Sicht auf die Menschen und die Welt sehr stark geprägt. Nicht wegen der Promille (lacht). Ich meine: Wenn du gemeinsam am Tisch sitzt, mit einem Glas Wein, erlebst du, wer ein Mensch wirklich ist. Im Gespräch, im Zusammensein lernst du jemanden ja erst richtig kennen. Kannst Erlebnisse und Ansichten austauschen. Natürlich kann man das auch ohne Wein. Aber der gemeinsame Genuss bringt Menschen zusammen, die sich sonst so vielleicht gar nicht begegnen würden.
CL: Das sehe ich genauso. Wein ist Teil jeder Kultur. Wenn du auf unterschiedlichen Weingütern unterwegs bist, lernst du Land und Leute ganz anders kennen. Du bist nicht einfach ein Besucher, sondern verbunden über eine gemeinsame Begeisterung. Das finde ich wunderbar und spannend.
WAS TRINKT IHR SELBST AM LIEBSTEN? UND: WAS WÜRDET IHR GERN ÖFTER IN DEN GLÄSERN DER WEINGENIESSER:INNEN SEHEN?
MM: Ich bin durch und durch Pinot-Noir-Fan. Ich bin regelrecht besessen (lacht). Was ich gerne öfter sehen würde, sind Rotweintrauben aus dem Jura - die schmecken nach Weißwein, wenn du die Augen schließt. Und: In jüngster Zeit habe ich Savagnin wieder als Traube neuentdeckt, obwohl ich sie schon kannte.
CL: Aktuell finde ich Completer aus der Schweiz sehr spannend. Die Rebsorte ist ähnlich wie Chardonnay, aber etwas spitzer, mit mehr Säure. Ein österreichischer Klassiker, everybody's darling und trotzdem immer wieder schön: Grüner Veltliner. Mehr trinken und entsprechend auch mehr anbauen? Sollte man meiner Meinung nach Chenin Blanc. Das ist ein toller Wein, der eigentlich viel zu wenig auf dem Radar ist.
CHRISTIAN LUCIAN
Die Liebe zur Feinschmeckerei und zur feinen Traube steckt in Christians DNA. Mit 16 hatte er schon den Jung-Sommelier in der Tasche. Heute ist er nicht nur Geschäftsführer des Burg Hotels in dritter Generation, sondern auch oberster Hüter des berühmten Burg Weinkellers mit über 60.000 Flaschen und 4.500 Positionen.
MATHIEU MERMELSTEIN
Mathieu gehört zu den renommiertesten Sommeliers Deutschlands. Er hat an Land und auf hoher See gearbeitet. Acht Jahre lang war er im Münchner Sternelokal Tantris tätig. Den Tantris-Weinkeller betreut er auch heute noch, allerdings als freier Sommelier: Seit 2022 pendelt er als selbstständiger Berater zwischen Kunden und Weingütern.